Unser Denken in Systemen
- Phil
- 30. Aug. 2020
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 27. Sept. 2020
Kennst du das Gefühl, aus dem Auto auszusteigen und dich nicht daran erinnern zu können, wie du nach Hause gefahren bist? Oder wurdest du mal nach deinem Smartphone-PIN gefragt, konntest ihn aber nicht wiedergeben - obwohl du ihn jeden Tag mehrfach eingibst?
Dies sind keine Ausnahmen, sondern die Regel. Tag täglich funktionieren wir im Autopilot. Der Großteil unserer Handlungen geschieht intuitiv und unbewusst.
Der Psychologe Daniel Kahneman gibt diesem Autopilot einen Namen: System 1.
Und wo es ein System "1" gibt, gibt es natürlich auch ein zweites.
System 2 unterscheidet sich maßgeblich von dem ersten. Im wesentlichen besteht der Unterschied aus der Geschwindigkeit: Schnelles Denken, langsames Denken. Daraus resultiert auch der Titel von Kahnemans Bestseller.
System 1:
Schnell, automatisch, immer aktiv, emotional, stereotypisierend, unbewusst
System 2:
Langsam, anstrengend, selten aktiv, logisch, berechnend, bewusst
System 1 und System 2
System 1 ist unser vorgelagertes kognitives System. Dieser Autopilot übernimmt die meiste Zeit des Tages die Kontrolle und greift auf einfache Heuristiken zurück.
Ein gutes Beispiel für System 1 sind einfache Rechenaufgaben, die wir alle in unserer frühsten Schulzeit beigebracht bekommen haben.
Wie viel ist 3 mal 3?
Vermutlich musstest du hier nicht nachrechnen. Du wusstest, dass die Antwort 9 ist (hoffe ich jedenfalls). Ein tiefergehender Denkprozess war hier nicht notwendig. System 1 hat auf seine beschränkte Datenbank zurückgegriffen und das Ergebnis präsentiert.
System 2 hingegen ist weniger schnell. Es vertritt unser bewusstes Denken und übernimmt, wenn eine Aufgabe kognitiv anspruchsvoll ist. Wenn System 1 merkt, dass es einer Aufgabe nicht gewachsen ist, übernimmt System 2. Bleiben wir bei der Mathematik:
Das Ergebnis aus 3 mal 3 konnten wir dank unserer Schulbildung ganz einfach wiedergeben. Aber wie sieht es mit 33 mal 54 aus? Das Ergebnis ist dir nun vermutlich nicht bekannt, also musst du rechnen. System 2 greift ein. Nun dauert es allerdings etwas länger und es kostet dich mehr Anstrengung.
System 1 ist ein "Werbe-Opfer"
Das Wissen über diese beiden kognitiven Systeme ist unerlässlich für erfolgreiches Marketing. System 1 erleichtert uns zwar den Alltag, ist aber anfällig.
Es ist zwar nicht dumm, aber ziemlich naiv. Es lässt sich leicht übertölpeln und unterliegt einer Vielzahl von psychologischen Effekten (z.B. dem Priming-Effekt) und Denkfehlern (bspw. Confirmation Bias).
Wie können wir das Wissen über System 1 im Marketing nutzen?
Folgend möchte ich auf einige Eigenschaften von System 1 eingehen, die wir im Marketing zu unserem Zweck nutzen können.
System 1....
...kann von System 2 so programmiert werden, dass Aufmerksamkeit mobilisiert wird, wenn ein bestimmtes Muster erkannt wird.
Schon Bryan Sharp hebt in seinem Buch "How Brands Grow" (7 unumstößlichen Marketing-Regeln) die Wichtigkeit von Wiederholung hervor. Durch das so genannte Priming kann die stetige Wiederholung von Inhalten (Werbung) dazu führen, dass System 2 im System 1 eine neue Heuristik implementiert. Sehen wir also eine Marke oder ein Produkt immer wieder, speichert System 2 ab, dass es gut ist. System 1 nimmt diese Information künftig auf, ohne das System 2 erneut eingreifen muss.
Wiederholung ohne negative Folgen = keine Gefahr = Gut
...verbindet ein Gefühl kognitiver Leichtigkeit mit Wahrheitsillusionen, angenehmen Gefühlen und verminderter Vigilanz.
Auch in dieser Eigenschaft spielt das Priming wieder eine wichtige Rolle. Bekanntheit und Omnipräsenz führen zu einer positiven Assoziation durch System 1.
Aber auch die Tonalität erleichtert es System 1 eine Situation zu beurteilen. Gefühle, warme Bilder, angenehme Musik und Gerüche... das alles löst positive Signale aus und System 1 folgt seinen gelernten Mustern. Es hinterfragt nicht.
...erzeugt ein kohärentes Muster aktivierter Vorstellungen im assoziativen Gedächtnis, vernachlässigt Ambiguität und unterdrückt Zweifel.
Damit ist gemeint, das System 1 bemüht ist, kohärente Geschichten zu erzeugen. Es merkt nicht, dass ihm Informationen fehlen und bildet diese wenigen Informationen zu einer schlüssigen Geschichte. Kurz: es ist total naiv. Interessant ist - je weniger Informationen verfügbar sind, desto leichter fällt es System 1 eine „gute“ weil kohärente Geschichte zu erzeugen.
Aber Achtung: Zu viel und insbesondere widersprüchliche Informationen senken die Kohärenz der Geschichte. In diesem Fall wird sich System 2 einschalten und die enthaltenen Informationen möglicherweise hinterfragen.
...überzeichnet die emotionale Konsistenz.
System 1 macht es sich möglichst leicht und möchte Informationen glauben. Aus diesem Grund unterliegt System 1 auch so gerne dem Halo-Effekt. Es schließt von einer Eigenschaft auf eine oder gleich mehrere andere Eigenschaften. So ist es auch enorm anfällig für Vorurteile – positive wie negative.
...reagiert stärker auf Verluste als auf Gewinne.
Diese Eigenschaft von System 1 lässt sich weniger häufig im Marketing einsetzen, sollte aber nicht unerwähnt bleiben. Tief in uns ist es verankert, dass ein Verlust deutlich schmerzvoller wirkt als ein entgangener Gewinn. Dies lässt sich fürs Marketing bspw. in der Versicherungsbranche nutzen. So kennen wir doch alle Werbungen, die uns aufzeigen, was wir alles verlieren, wenn wir nicht diese und jene Versicherung abschließen.
Aber Achtung: In solchen Fällen sollten wir die anderen Eigenschaften von System 1 nicht außer acht lassen. Wirkt die Tonalität negativ und löst größere Angstgefühle aus, könnte sich System 2 dazuschalten und den Effekt ins leere laufen.
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